Eine fast vollständige Dunkelheit umgibt mich. Ausser meinem Atem und dem Schnaufen eines kleinen Wesens ist in dieser Stille nichts zu vernehmen. Regungslos starre ich auf ein mannshohes, senkrecht verlaufendes Licht am anderen Ende des Raumes. Hoffentlich, denke ich, wird es nicht hell. Dunkelheit und Stille sind die einzigen Begleiter, die mir aus dieser Situation helfen können. Plötzlich ein Knacken und ein leises, knarrendes Geräusch. Verdammt – denke ich noch – als sich der schwache Lichtstreifen, einer Supernova gleichend, bereits in eine Fackel aus gleisendem Licht verwandelt.

„Papa, wer hat das Licht angemacht?“ fragt das kleine Wesen neben mir im Kinderbett und ist mit einem Schlag wieder hellwach. Während der Zeitschalter das Licht für die nächsten zwei Minuten in Flur und Treppenhaus eingeschaltet hält, versuche ich beruhigend mit der Hand das Gesicht im Schatten zu halten. Es wird wieder dunkel und ich lehne mich im Vorlesesessel zurück. Also noch mal ein paar Minuten warten.

Momentum

„Ich hab Durst!“ Wimmert es in die Ruhe hinein.
„Ich hol eine Tasse Wasser“ sage ich und füge noch beruhigend hinzu: „Warte einen Moment, Papa kommt gleich wieder…“

Eine Minute später stehe ich noch in der Küchenzeile als die Türe langsam aufgedrückt wird und der Kurze flehend „Ich muss mal“ sagt. Mit dem Wasser in der einen und meinem Sohn an der anderen Hand laufen wird also noch mal zur kleinen Kloleiter und machen Groß. Also eigentlich nur er, ich schaue derweil auf die Baduhr, die mir suggeriert, das ich schon seit einer dreiviertel Stunde um den Schlaf eines Kindes kämpfe.
„Ich möchte was lesen!“
„Du bist doch ganz müde, wir gucken morgen ein Buch an.“
„Aber ich will noch mal den Wald sehen.“
„Aber Du…“ gut, warte, ich hol das Buch schnell.

Weitere 10 Minuten später ist das Geschäft abgeschlossen und wir wieder unterwegs zum Kinderzimmer. Der Kleine krabbelt pflichtbewusst zurück ins Bettchen und ich ziehe ihm die Decke vorsichtig über die Beine.
„Das reicht, nicht ganz zudecken!“
Zu Befehl, denke ich, und drücke das andere Ende der Decke zwischen Matratze und Fussende des Bettes, damit die Decke nicht über den Kopf rutschen kann, wenn unser Kind denn mal schläft

Wie der Specht im Wald

Es ist wieder sehr still geworden. Minuten gehen ins Land. Kind fängt an, mit einem Nuckel zur Beruhigung in jeder Hand, an die Holzumrandung des McQueen-Bett-Rennwagens zu klopfen.
Klack, klack, klack. Kunststoff auf Holz. Klack.
„Ach komm schon, dafür sind die Nuckies aber nicht da… Dann muss ich sie dir wegnehmen!“
Stille. Klack, klack. Diesmal aus Höhe der Füße. Ein Griff unter die Decke offenbart, das unser Kind sich einen Nuckel zwischen die Fußzehen gesteckt hat und nun damit klackt.
„Na, der gehört da aber nicht hin!“ ermahne ich leise und lege das Sauggerät ans Kopfende. Für spätere, schlechte Zeiten quasi.

Das Klopfen wird leiser. Puh, vielleicht klappt es, wenn ich mich jetzt rausschleiche mit dem eigenen verdienten Feierabend.
Langsam, ohne ein Geräusch zu erzeugen, muss ich mich jetzt aus dem Sitzmöbel schälen. Den Bauch angespannt und den Oberkörper nach vorne ziehend beuge ich mich in Richtung Kinderbett. Luft anhalten. Die Sessellehnen knarren beim aufstützen. Mist. Leise. Kannst Du nicht aufpassen?
Der Kleine schnauft kurz und dreht sich zu mir um. Mit geschlossenen Augen. Glück gehabt. Jetzt noch etwas vorlehnen und Gewicht auf die Beine verlagern. KNACK – Mein Knie macht ein nicht schmerzhaftes aber – in der Weltraumartigen Stille hier im Zimmer – sehr deutlich zu hörendes Geräusch.
„Papa? Wo willst Du hin?“ fragt mich der Kleine mit weit aufgerissenen Augen. Unheimlich, hat er doch eben noch geschlafen.
„Aber Du sollst Doch schlafen, Papa muss auch ins Bett gehen, schlaf jetzt Schatzi.“ flüstere ich und setze mich wieder hin. Kind dreht sich um und sagt: „Krabbel mich…“ Da komm ich jetzt nicht drumherum. Also kurz im Nacken krabbeln.

Zweiter Anlauf

Hinter mir taucht der Umriss eines Menschen in der klamm leuchtenden Türlinie auf. Mein Lieblingsmensch sagt „der Große schläft – wie siehts bei Dir aus, soll ich Dich ablösen?“
„Gleich fertig“ raune ich zurück und glaube fast selber daran.

Das kleine Etwas hat das Rumdrehen, Fußstrampeln und Nuckelklappern eingestellt und liegt offenbar tiefenentspannt neben mir. Das war’s, denke ich bei mir und stehe langsam auf. Diesmal weniger vorsichtig aber dafür lautlos. Nochmal sachte die Bettdecke auf Brusthöhe ziehen und umdrehen. Das verheißungsvolle Tor zur Freiheit ist nur 4 Meter entfernt.
Den Fuß kaum vom Boden hebend gleite ich ihm entgegen. Hohe Schritte würden unmittelbar zu Legosteinen oder Kinderküchenequipment in Fußsohlen führen. Das zu vermeiden hat jetzt oberste Priorität. Die Hälfte ist geschafft. Links lasse ich die Spielküche und rechts die Eisenbahnstrecke hinter mir liegen.

Hoffnung

Nur noch wenige Schritte – wären es – wenn ich nicht mit dem Fuß am Dickies-Parkhaus hängen bleiben würde. Welches, von mir vor Schreck schwungvoll und lautstark um 90 Grad gedreht, mit dem Parkhausaufzug im Bauernhof einschlägt. Mister Schwein, Herr Pferd und Frau Huhn beginnen augenblicklich, das Lied vom fröhlichen Bauern lautstark in die Stille zu plärren. Schock.

Doch der Kurze schläft weiter. ER SCHLÄFT WEITER!
In diesem Panoptikum aus Kindermusik, trällernden Farmtieren und einer blinkenden Parkhaus-Tankstellenbeleuchtung – schläft er einfach weiter! Das Lied verstummt nach einer Strophe und ich stehe in der Tür. Mein Kind dreht sich leicht zur Seite und ich glaube im Halbdunkel ein Lächeln zu sehen. Naja, ging ja doch ganz flott. Ich schließe mit zwei Händen ganz vorsichtig die Türe. Sie quietscht immer ganz am Ende ein wenig, das ist aber nicht schlimm. In der Drehung zum dunklen Flur lächle ich und schließe kurz die Augen. Beim nächsten Schritt allerdings erwische ich den dort abgestellten Wäschekorb und stolpere in die gegenüberliegende Badtüre. Bääämmm.

Aus dem Kinderzimmer ruft eine besorgte und sehr wache Stimme durch die geschlossene Türe:
„Papa? Was machst Du?“

Ist ja nicht so, das wir uns von den Kurzen überrumpeln lassen.

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0 Comments
  • Rene Hüther
    6. Januar 2019

    Besser kann man es nicht beschreiben
    Genialer Text
    Gruß Rene