Die Klimaaktivistin und unser schönes Bundesland haben im Moment zumindest eine Sache gemeinsam: An Beiden kann man klar sehen, wie schlecht jeder von uns auch im Jahr 2019 akzeptieren kann, das es Größeres gibt als die eigenen kleinen Annehmlichkeiten.
Greta Tintin Eleonora Ernman Thunberg. Schwedin. 16 Jahre alt. Vom Time-Magazin schon zweimal in die Liste der einflussreichsten Persönlichkeiten aufgenommen. Diagnostizierter Asperger-Autismus. Klimaaktivistin. Fährt gerne Segelboot über den großen Teich. Gleichzeitig Buh-Frau und Helding des Jahres.
Thüringen. Grünes Herz Deutschlands. Goethe, Schiller, Luther. Erfurter Dom, Eisenacher Wartburg, Jenaer Universität. MP3 Codec, Brooklyn Bridge und Kindergarten, ja genau, die Idee des Kindergartens, es gäbe Ihn nicht ohne Thüringer Brainpower. Auf Wikipedia immer noch ein „Ostdeutsches“ Bundesland. Und seit 27. Oktober 2019 auf einmal gestörtes, braunes Zentrum Deutschlands.
Es kotzt mich einfach nur noch an
Es gibt im Internet fast nichts, das ich mir nicht schon angesehen habe. Blogs, Foren, Plattformen, Shops, Game- und Streaming-Anbieter – ich bin überall unterwegs. Das macht Spaß, im besten Fall bildet es sogar.
Wenn man in sozialen Medien unterwegs ist, muss ich mir zu den Artikeln, Beiträgen oder Fotos aber auch einfach die Kommentare anschauen – das mit Abstand schlimmste Übel des Internetzeitalters!
Wenn Ihr denkt, mit Youtube oder Instagram sind schon all denen Plattformen gegeben, die für sich, ihre Gedankengut und Ego die Öffentlichkeit suchen: seit gewarnt!
Es gibt kaum ein ruhiges digitales Plätzchen, an dem nicht jeder, aber auch absolut jeder eine Meinung hat und die unüberlegt rausposaunen muss. Tippen, Senden, Fertig.
Unüberlegt, unreflektiert, falsch in Grammatik und Rechtschreibung. Das sind in vorrangig und in Überzahl die Sätze, die von Euch da draussen in die Kommentarspalten geschissen werden.
DerNecke über „Kommentierer“
Mir ist klar: Ich muss das ja nicht lesen. Ich kann auch einfach weiter klicken und diese ganze Dummheit und Ignoranz ignorieren. Dann würde ich aber die Welt da draussen verpassen. Ich würde nur einen verschwindend kleinen Teil des Ganzen kennen, was mich tagein tagaus umgibt. Und das wäre nicht nur langweilig, sondern auch gefährlich. Wie Menschen im direkten Umfeld ticken, das sieht man recht schnell mit einem Blick auf geteiltes und geliketes. Man muss ja nicht immer einer Meinung sein. Aber so erspare ich mir am Ende sinnlose Diskussionen wenn die Meinungen zu weit auseinander gehen.
THUNBERG
In den letzten zwei Jahren wurde über keinen anderen Teenager so viel berichtet, gespottet oder gelobhudelt wie über Greta Thunberg. Naja, höchstens noch über Billie Eilish. Über Greta bildet man sich nicht einfach eine Meinung. Man muss sich eine LEISTEN können und sie zur Not verteidigen. Denn sie polarisiert. Leicht kommt man in einer Gesprächsrunde auf das Thema Klima, dann wird es kurz ruhig, bis einer der Teilnehmer einen Scherz über Thunberg macht. Dann wird ein weiterer aggressiv.
Sie bewirkt mit ihren Aktionen viel und zieht den Neid und die Mißgunst derer auf sich, denen entweder wirtschaftliche Nachteile aus dem Treiben der Umweltaktivistin entstehen oder die sich einfach nur von ihr provoziert fühlen. Auf den Schlips getreten fühlen, weil ein nicht mal volljähriges Mädchen wie im Märchen über den Kaiser mit den neuen Kleidern nicht still schweigt sondern die allgegenwärtige, nackte Wahrheit ausspricht. Die keine politisch korrekten Ausflüchte und Umschreibungen präsentiert um einen möglichst breiten Konsens zu finden. Weil es den genau in dieser Frage nicht gibt.
Und dann sehe ich, wie ignorant in meinem direkten Umfeld Menschen zu Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Veränderungen stehen. Und ich erlebe fast täglich, wie der Otto-Normal-Irgendwer, dem nichts persönlich fehlt, das Offensichtliche ignoriert. Mir als Raucher muss man nicht erklären, das das Wissen um die Schädlichkeit einer Gewohnheit auch irgendwann bewirkt, das man sein Fehlverhalten einsieht. Solange, ja, solange es gut geht.
Greta ist kein Jesus-Christ-Superstar. Kein Medium, das hellsehen kann und auch keine Marketingstrategin, die nur die Verkaufzahlen des Buches ihrer Mutter pushen will. Ihr fällt es nur leichter als den meisten, etwas zu sagen, was nicht allen gefällt. Wenn man es nüchtern und mit einer Prise Humor sieht, hilft ihr dabei einfach ihr Autismus auf geniale Weise. Wie oft verkneift man sich das letzte Quäntchen Kritik, schluckt die Wut runter und „verdaut erstmal“ – genau das macht sie nicht.
Jede Aktion, die für eine bessere Zukunft, eine heilere Welt oder ein stabileres Klima gestartet wird, läuft gefühlt automatisch unter dem Hashtag Greta Thunberg… warum ist das eigentlich so?
THÜRINGEN
Eigentlich wollte ich mich ja gar nicht so lange hier auslassen. Aber wenn Du es schon bis hier her geschafft hast, dann will ich wenigstens meine Gedanken zur Wahl loswerden.
Ich liebe mein Heimatbundesland. Wir sind grün, wir sind innovativ, wir haben Luft zum atmen und vom Tourismus bis zur Bildung eigentlich einiges in petto. Das hat bisher auch der große Teil von Deutschland so gesehen. Bis jetzt.
Denn nach der skandalösen Wahl am 27. Oktober 2019 sind wir Thüringer die, die vom Krieg bis zum Mauerfall alles vergessen haben. Die Rechts sind. Gleichermaßen weder Windräder noch Fachkräfte in ihr Land lassen möchten. Mit einem Mal dumm und rückschrittlich. Das braune Herz der Welt.
Ein gerade mal 18 jähriger Jungspund urteilte dazu unter einem Artikel über die Wahl: „war doch schon immer klar, das die Thüringer wirklich das letzte sind. Wer wollte da schon hin?“ So what? Echt jetzt? Das Früchtchen hat wahrscheinlich noch nie einen Fuß in einen echten Wald gesetzt oder eines unserer Kulturerbschaften besucht… Doch er war nur einer von dutzenden Menschen, die ich die Tage nach der Wahl schlecht über uns habe sprechen oder schreiben hören. Das tut weh.
Nein, ich habe nicht AFD gewählt. Und ich wusste auch ehrlich nicht, wem ich mein Kreuzchen gönnen sollte. Ich habe auch nichts gegen Windräder. Was ist Euch denn lieber? Eine schöne Aussicht oder eine Zukunft? Heute habe ich einen schönen Kommentar gelesen: „Ich werde es nicht mehr erleben, wie alles den Bach runter geht – in meinem Leben will ich aber noch im Wohlstand leben.“ Das trifft die Gedanken vieler Menschen auf der Welt ganz gut. Nach mir die Sintflut.